2. Ignaz-Glaser-Symposion "Sprache(n) und Integration"
Gemeindezentrum Bürmoos, 19. April 2008
Veranstalter: Salzburger Bildungswerk




Süddeutsche Zeitung 15. Februar 2008

Bairisch für Russen


Eine russlanddeutsche Philosophin verfasst ein Wörterbuch zur Völkerverständigung

Von Hans Kratzer


Waldkraiburg – Als Valentina Kopp, 73, vor zehn Jahren ihre russische Heimat verließ, um in Bayern ein neues Leben zu beginnen, tauchten die größten Probleme ausgerechnet dort auf, wo sie es am wenigsten erwartet hätte. Sie war zwar der deutschen Sprache mächtig, aber nicht der Varietät des Bairischen. Ihr Sohn, der eine Beschäftigung bei einer Baufirma fand, hatte größte Mühe, seine Arbeitskollegen zu verstehen, weil sich diese im breitesten Dialekt unterhielten. Er kam sich vor wie bei der biblischen Sprachverwirrung zu Babel. „Hau d’ Schaufe her”, riefen ihm die Arbeiter zu, wenn es pressierte. Dann wollten sie schnell „um d’ Reibn umakemma”, und wenn sie einen Radi aßen, warteten sie anschließend auf den „Kopperer”. Als der Sohn abends nach Hause kam, machte er oft ein ratloses Gesicht. „Weißt du, was das heißt?”, fragte er seine Mutter, die, einer ursprünglich fränkischen Familie entstammend, ein sehr gepflegtes Deutsch spricht. Aber auch Valentina Kopp stand oft vor Rätseln, wenn sie Begriffe und Wendungen aus dem bairischen Wortschatz hörte. Um ihrem Sohn zu helfen, suchte sie nach bairischen Wörterbüchern und stieß dabei auf das Werk von Franz Ringseis, das ihr besonders geeignet schien, das Interesse für diese Sprache zu wecken. Daheim übersetzte sie dann ein paar Wörter ins Russische. Schon nach kurzer Zeit aber wuchs ihre Begeisterung für diese Sprache. „Ich erkannte, dass das Bairische und das Russische in gewisser Hinsicht wesensverwandte Sprachen sind”, sagt Frau Kopp. Vor allem faszinierten sie die vielen globalen Zutaten des Bairischen. Sie entdeckte, dass sich in dem Dialekt Wörter aus allen möglichen Sprachen eingenistet haben. Begriffe aus dem Lateinischen und aus dem Altgriechischen, aus dem Keltischen und aus dem Arabischen, aus dem Italienischen und aus dem Hebräischen – und schließlich fand sie sogar russische Wörter. „Die Stranitze zum Beispiel.” Jene braune Tüte also, in die normalerweise Gemüse und Obst verpackt werden. Es ist ein Wort, das im Bairischen zwar langsam aus dem Sprachgebrauch verschwindet, aber im Russischen noch quicklebendig ist: „Stranitza hat in Russland eine ähnliche Bedeutung wie in Bayern.” Auch bei den Schimpfwörtern gibt es viele ähnlichkeiten. „Nur ist der Bayer beim Fluchen eher auf den Arsch konzentriert, der Russe dagegen mehr auf das vordere Teil.” Aus lauter Begeisterung übersetzte Valentina Kopp in ihrer Wohnung in Waldkraiburg das ganze Wörterbuch ins Russische. Damit konnte sie endlich eine Brücke schlagen zwischen ihren Heimatländern. „Ich weiß heute noch nicht, wer ich bin, eine Russin oder eine Deutsche.” Ihr Zuhause nennt sie das, wo ihre Bücher und ihr Computer stehen. Bücher aber hat sie in Waldkraiburg wie auch in Moskau bei ihrem Enkel, bei dem sie immer wieder einige Wochen verbringt. Wenn sich Valentina Kopp in Russland zu Wort meldet, dann findet sie dort großes Gehör. Erst kürzlich veröffentlichte eine Moskauer Zeitung wieder einen langen Aufsatz von ihr, in dem sie die Forderung aufstellte, die Genies aller Länder sollten endlich besser zusammenarbeiten, um die Erde zu retten. Die Resonanz auf den Artikel war groß, in Moskau hielt sie dann auch noch einen Vortrag. Valentina Kopp, die habilitierte Philosophin, die ausgezeichnete Marx-Kennerin, hat ihrer geliebten Heimat vor zehn Jahren dennoch den Rücken gekehrt, weil ihr Sohn unbedingt nach Deutschland wollte. An der Wand über ihrem Schreibtisch hängt die Kopie von Spitzwegs Bild „Der arme Poet”. Darin erkennt sie sich ein wenig wieder, auch wenn ihre Bekannten dafür wenig Verständnis zeigen. „Wenn du so etwas aufhängst, wirst du immer arm bleiben”, reiben sie ihr unverblümt hin. Frau Kopp aber winkt dann nur ab. Auf materielle Güter legt sie nur wenig Wert. Ihr Leben bestand seit jeher aus Kontemplation. „Das ist die Mentalität der Russen. Sie können nicht ohne Sinn leben”, sagt sie. „Nur Geld zu verdienen, das ist ihnen zu langweilig. Sie sind es gewöhnt Großes zu schaffen.” Eine große Leistung ist gewiss auch ihr bairisch-russiches Wörterbuch. Leider will es niemand drucken. Sämtliche Verlage, die sie angeschrieben hat, erteilten ihr eine Absage: Der Markt für ein solches Wörterbuch, so originell es auch sein mag, sei zu klein. Das Manuskript wanderte über Umwege bis ins Büro des Landtagspräsidenten Alois Glück. Aber auch das hat nicht geholfen. Die Hoffnung, dass es eines Tages gedruckt wird, gibt Valentina Kopp nicht auf: „Es steckt doch so viel Weisheit drin.”

© 2006 Andreas Maislinger
 
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