Elternberichte

 

Ferdinand Weichselbaumer, 8/78

Sehr geehrter Herr Dr. Maislinger,
ich danke Ihnen für das Gespräch, das meine Tochter Friederike mit Ihnen führen konnte. Sie hat Ihnen ja schon einiges aus dem Leben meines Sohnes Ferdinand erzählt.
Vielleicht hat sie nun einen wichtigen Stein für ihn ins Rollen gebracht.
Zu viele Mauern wurden ihm in all den Jahren aufgestellt und zu viele Demütigungen mußte er hinnehmen.
Leider habe auch ich irgendwann aufgehört, für ihn und mit ihm gegen den Strom zu schwimmen. Nun möchte ich nochmals all meine Kräfte als Mutter für ihn einsetzen. Vielleicht finden wir mit Ihrer Hilfe doch noch einen Weg mit ihm und für ihn, damit er seine großartigen, weitsichtigen Gedanken und sein Wissen umsetzen und einbringen kann in diese Welt.
Nun möchte ich Ihnen, soweit es mir möglich ist, aus dem Leben meines Sohnes Ferdinand berichten. Es fällt mir nicht leicht. Zu viel Unverständnis mußte er auch von seinen Eltern hinnehmen. Obwohl wir ihm helfen wollten, sind wir immer wieder in einer Sackgasse gelandet oder an ganz falschen Orten, die ihn immer mehr vreinsamen haben lassen.
Ich denke nun zurück an seine Geburt. Es war der 20.8.1978, ein wunderschöner Sonntagmorgen. Die Geburt war nicht allzu schwer und der Primar der Klinik beglückwünschte mich zu meinem "Sonntagskind". Er sagte: "Mit diesem Jungen werden Sie sehr viele Freuden erleben."
Ferdinand, unser fünftes von sechs Kindern, erfüllte uns mit großer Freude.
Mein Mann war stolz, nun vielleicht doch einen männlichen Nachfolger für seinen, von ihm aufgebauten Handwerksbetrieb, zu haben, nachdem der erste Sohn Markus schon nicht in seine Fußstapfen treten wollte.
Bald nach seiner Geburt schon hatte Ferdinand starke bronchitische Beschwerden, denen schwerwiegende Asthmaanfälle folgten. Er wurde damals mit Antibiotikum behandelt und eine Lungenfachärztin kam wöchentlich ins Haus, um dem Kind auf ganz unangenehme Weise den Schleim zu entziehen. Später wurden viele Allergien festgestellt, die mit Spritzenkuren behandelt wurden.
Trotz der Krankheit entwickelte sich Ferdinand gut. Mit 14 Monaten begann er zu gehen und mit 3 Jahren war er ohn Windeln. Er hatte bald einen großen Wortschatz und wir bewunderten seine schöne Sprache, die er schon als Kleinkind hatte.
Ferdinand zog sich gerne schon damals zurück in eine stille Ecke und vertiefte sich in Kinder-Bilderbücher oder er beschäftigte sich oft lange, zu meiner Freude, mit einem Spielzeug.
Mit welcher Freude er schon damals den Wandel der Natur in den Jahreszeiten bewundern konnte! Auch die Kindergartentanten sprachen immer wieder davon, wie vertieft er doch alleine spielen konnte und welch scharfer Beobachter er sei.
Nun kam die Volksschulzeit. Ferdinand wurde schulpsychologischen Untersuchungen unterzogen, da sein Verhalten nicht der Norm zu entsprechen schien. Immer wieder ließ er mit Wortmeldungen aufhorchen, die sein Gegenüber zu überfordern schienen. Er hatte wenig Freunde und wurde ausgegrenzt durch sein "Anderssein".
Schon als kleiner Schulbub wollte er immer die Tageszeitung lesen und Weltnachrichten hören. Auch weltpolitisches Geschehen konnten wir von seinem Kindsein nicht fernhalten und es war uns oft peinlich, wenn er sich unerwartet in ein Gespräch einschaltete, das man nur der Erwachsenenwelt zumutete.
Schon als Kind führte er Selbstgespräche, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Die Themen, soweit wir hin und wieder etwas aufnehmen konnten, waren und sind umfangreich.
Seine "Was ist was-Büchersammlung" wuchs und auch sein Unverständnis für die Welt.
Ferdinand hatte nun auch plötzlich, durch das ihm entgegengebrachte Unverständnis von seinem Umfeld, Prüfungsängste. Seine Asthma- anfälle wurden wieder stärker und es folgte, im Alter von 9 Jahren, ein dreimonatiger Aufenthalt im Krankenhaus auf der Stolzalpe.
Mir wurde damals seine starke Persönlichkeit so bewußt, wenn nach einem Besuch er mir den Abschiedsschmerz ersparen wollte, indem er zu mir sagte: "Mutti, sorge dich nicht, es wird alles gut werden." Mein Sohn tröstete mich!
Nach dem Aufenthalt auf der Stolzalpe kam er in die 4. Klasse Volksschule. Dieses Jahr war wohl das schönste seiner Schulzeit. Er hatte einen Lehrer, der ihn verstand.
Mit dem Eintritt in die Hauptschule begann für ihn ein neuerlicher Leidensweg.
Ferdinand wurde von den Lehrern nicht verstanden und er sollte in die Sonder- schule abgeschoben werden, obwohl immer wieder sein Wortwissen Staunen hervorgerufen hat. Es folgten, wie wir erst später erfahren konnten, Mißhandlungen von Seiten der Mit- schüler. (Ferdinand hatte uns selber nie davon erzählt.)
Nun gab es in der Schule erste Verzweiflungs- ausbrüche und es wurde nun von den Lehrern eine Überstellung in die Sonderschule angestrebt. Mein Mann und ich, wir mußten wöchentlich vor das Lehrerkollegium und letztendlich war Ferdinand dann 2 Monate im Kinderkrankenhaus in Linz, Abt. Psychiatrie. Er wurde vielen Untersuchungen und Tests unterzogen und die ganze Familie mußte zur Familien- therapie. Es wurden Fachleute herangezogen und ich erinnere mich immer wieder an die Worte eines Facharztes, den ich später bei einer wissenschaftlichen Sendung im TV gesehen habe. Er sagte, er sei beeindruckt über die Ausdrucksfähigkeit von Ferdinand und er bewundere unsere Familie.
Dennoch waren wir auch nach dieser, für uns alle starken Zeit wieder ratlos wie vorher. Wir konnten die Überstellung in die Sonderschule zwar verhindern, doch für Ferdinand änderte sich nicht viel.
Wir veranlaßten die Überstellung in eine andere Hauptschule unserer Gemeinde, da Ferdinand unbedingt zu einem Abschluß kommen mußte. In der 3. Klasse jodoch fühlte sich ein Lehrerin wieder überfordert. Ferdinand stellte viele schwere Fragen und verbesserte auch Antworten (Geschichte, Geographie). In einfachen, lebens- notwendigen Fächern versagte er, wie uns mitgeteilt wurde, oder ich glaube er streikte plötzlich.
Die letzte Klasse Hauptschule absolvierte er nun wieder in der Schule, die er anfangs verlassen mußte. Dort wollte man sich plötzlich wieder großzügig zeigen und Ferdinand kam zum Hauptschulabschluß.
Wenn Ferdinand davon sprach, Wissenschaftler werden zu wollen, erntete er ein verständnisloses Lächeln und man legte ihm und uns nahe, ein Berufsorientierungskurs im BBRZ-LIN wäre für ihn angebracht.
Wir wußten nicht mehr weiter und willigten unwissend ein. Ferdinand war sehr unglücklich und unterfordert, als er plötzlich irgendwo im Mühlviertel in einem Betrieb Briefmarkenkleben mußte und in einer Gaststätte zum Schnuppern als Tellerwäscher eingesetzt wurde, während sich in seinem Zimmer zuhause wissenschaftliche Bücher ansammelten, die er auch interessiert studierte und seinen studierenden Geschwistern Fragen beantwortete, die ihnen ein zeit- aufwendiges Nachschlagen in Büchern ersparte.
(Auch im BBRZ war er wieder den Angriffen anderer Kursteilnehmer ausgesetzt, wie wir erst jetzt erfahren haben.)
Nachdem Ferdinand keine Lehrstelle bekam glaubten wir wieder einmal das Beste für unser Kind zu tun, indem wir ihm eine kaufmänische Lehre im eigenen Betrieb ermöglichten.
Bis zur 3. Klasse ging alles gut und zum Schluß jedoch stand plötzlich für Buchhaltung "Nichtgenügend" im Zeugnis.
Ferdinand war verzweifelt, der Vater enttäuscht. War doch die Hoffnung unseres Kindes nun zerbrochen. Er wollte nach dem Lehrabschluß die Studiumsberechtigugnsprüfung machen und sein großes Ziel in Angriff nehmen.
Nun landete er beim Arbeitsamt und dort wurde uns empfohlen, ihm eine Ausbildung im Schloss Oberrain (Hilfskraftausbildung) zu ermöglichen. Ferdinand war zutiefst ver- zweifelt und nach drei Tagen kam er wieder nach Hause. Auch die Ausbildungsleiterin stellte fest, daß unser Sohn dort am falschen Platz sei.
Ferdinand zog sich nun immer mehr zurück in sich selbst.
Er wollte noch den Führerschein machen und auch dort, wurde er auf Grund seiner vor Jahren, als Kind psychischer Schwierigkeiten nciht zu- gelassen.
Nun, in seiner tiefsten Verzweiflung, auch noch die Hilflosigkeit seiner Eltern, denen er so gerne beweisen wollte, was in ihm, in seinem Denken an Wissen schimmerte.
Er sagte zu mir, wie gerne er uns gezeigt hätte, was er könne, wie glücklich er wäre, könnten wir auch auf ihn stolz sein, wie auf seine Geschwister.
Er versteht nicht, warum bei ihm alles so schwierig ist und versteht auch glaube ich die Welt manchmal nicht mehr.
Auch von uns fühlt er sich alleingelassen, da unsere vermeintlichen Hilfen ihm nie wirklich helfend waren.
Wir hören zwar immer wieder von Eltern ehemaliger Mitschüler über die Faszination über sein Wissen, doch geholfen hat ihm niemand.
Ferdinand lebt nun sehr zurückgezogen in seinem Elternhaus udn ich verstehe ihn immer mehr nach seinem leidvollen Weg.
Nach vorübergehender Kurzzeitbeschäftigung im elterlichen Betrieb, die ihm große Überwindung gekostet hat, ist er zur Zeit in der Arbeitslosen. Er hat "Gott sei Dank", die Hoffnung noch nicht verloren, daß irgendwo eine Tür sich für ihn öffnet.
Lieber Herr Dr. Maislinger, es sind nur Bruchstücke, die ich Ihnen schreiben konnte, doch vielleicht beginnt nun ein neuer Weg für ihn, auf dem ich ihm mit aller Kraft zur Seite stehen will. Es wäre schön für uns Eltern, wenn wir eines Tages auch wieder sein Vertrauen hätten.
Ich freue mich auf ein Gespräch und danke Ihnen

Friederike Weichselbaumer, Altmünster, im September 2000

 

Darstellung aus der Sicht der HS-Lehrerin Maria Hufnagl - 3 Jahre Klassenvorstand und u.a. Geschichtslehrerin von Ferdinand Weichselbaumer in der Hauptschule Neukirchen

betreffend den Passus: "Wir veranlaßten die Überstellung..... ich glaube er streikte plötzlich."
Von Friederike Weichselbaumer, Altmünster, September 2000 in: giftedchildren.net

Ich wurde im April 1991 gebeten, den Schüler Ferdinand Weichselbaumer in meine 2. Klasse der Hauptschule Neukirchen aufzunehmen, da er in der Hauptschule Altmünster durch Wutausbrüche und damit verbundene Tätlichkeiten an Mitschülern für die Klassengemeinschaft untragbar geworden war.

Als Ferdinand in meine Klasse kam, sah er die Schule als Wettkampf, in dem er immer siegen mußte. Auf  "Niederlagen" reagierte er mit Aggressionen auf Mitschüler und Lehrer. Um ihm das schulische Umfeld angenehmer zu gestalten, wurden in einer Konferenz Lösungen gesucht. So konnte Ferdinand in Englisch die Leistungsgruppe wechseln, da er mich als Bezugsperson gut ertragen konnte, ihm wurden Zugeständnisse bei Prüfungen und Schularbeiten gemacht (mündlich statt schriftlich), im Geschichteunterricht konnte er mehrere Einheiten in ägyptischer Geschichte selbst gestalten, wobei ich nur administrative Aufgaben (Hefteintrag etc.) übernahm, mehrere Mitschüler erklärten sich bereit, dafür zu sorgen, daß seine Mitschriften in Ordnung waren (teilweise wurden ihm Seiten kopiert) und er hatte immer den Leiter der Schule und drei weitere Kollegen als Ansprechpartner (dieses Angebot nützte er in den Pausen mit großem Vergnügen).

Immer, wenn er Wutausbrüche hatte, wurde ich geholt und konnte mich mit ihm an einen ruhigen Ort zurückziehen (Bibliothek oder Konferenzzimmer). Trotz Teilnahme an allen Schulveranstaltungen (Sommer- und Wintersportwoche eingeschlossen), verständnisvoller Zuwendung der Lehrer und großer Unterstützung seiner Mitschüler schaffte es Ferdinand nicht, Sozialkontakte zu knüpfen.

Unser Bildungsberater versuchte in Gesprächen mit den Eltern und Kontaktnahme mit anderen Schulleitern für Ferdinand die bestmögliche Lösung für das 9. Schuljahr zu erreichen. Da Ferdinand große Probleme in der Motorik hatte, schlugen wir die Landwirtschaftsschule Altmünster - besonders geeignet durch viel praxisbezogene, manuelle Arbeit - vor, was von den Eltern auch akzeptiert schien. Zu unserem großen Erstaunen landete Ferdinand in der Hauptschule Altmünster, um dort das 9. Schuljahr zu absolvieren.

Maria Hufnagl
Hauptschule Neukirchen
4814 Neukirchen

 Aktuell vom 17.2.2002

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