Judenblock


Otto und Hermine Kuttetwascher - 1980


Otto und Hermine Kuttelwascher wohnten mit ihren drei Kindern in einem Haus nahe dem Donaukanal. Ihre Nachbarn waren eine jüdische Familie, zwei alte Menschen und zwei ledige Töchter, Käthe und Erna. Zwischen den beiden Familien herrschte ein gutes Verhältnis.

Nach der Machtübernahme durch die Nazis konnten Otto und Hermine von der Nähe aus das Schicksal und die Leiden ihrer jüdischen Nachbarn verfolgen. Sie mussten einen Judenstern tragen und für das Reich arbeitsverpflichtet sein. Das Oberhaupt der jüdischen Familie konnte die Schikane und Verfolgungen der Nazibehörden nicht ertragen und starb. Käthe und Erna, die als Schneiderinnen in einem Nähwerk arbeiteten, blieben daheim bei ihrer Mutter.

Otto und Hermine sahen auch, wie jüdische Familien in ihrer Umgebung ihr Mobiliar billig zum Verkauf anboten und ihre Wohnungen räumten. Eines Tages wurden alle jüdischen Familien aus der Umgebung - Junge, Alte, Gesunde und Kranke - in einen großen leerstehenden Häuserblock gebracht, wobei vier und mehr Familien in einer Wohnung zusammengepfercht wurden. Erna, Käthe und ihre Mutter hatten vor ihrer Überführung eine Nacht bei der Familie Kuttelwascher verbracht.

Es dauerte wieder nicht lange, bis der "Judenblock" im Dunkeln der Nacht ausgehoben und ihre Bewohner mit ihrem persönlichen Hab und Gut auf Lastautos verladen wurden und verschwanden. Otto und Hermine fanden eine Postkarte mit folgendem Inhalt in ihrem Postkasten. "Liebe Mina" schrieb Käthe. "Ich möchte mich auf diesem Weg von Dir verabschieden. Grüße mir Deinen Mann und die Kinder. Dich innigst, Käthe."

Einige Stunden später läutete die Klingel an der Wohnung. Vor ihnen stand Erna mit einem kleinen Reisekoffer, bleich und zitternd. Sie sei von der Arbeit nach Hause gekommen und habe die Wohnung versiegelt mit einer Anweisung gefunden, sich unverzüglich im Hauptquartier der Gestapo auf dem Morzinplatz zu melden. Sie hatte beschlossen, den Befehl zu ignorieren. Sie habe keinen anderen Platz, wohin sie sich wenden könnte. Die Kuttelwaschers entschieden sofort: Sie nahmen Erna in ihrer Wohnung auf und versteckten sie.

Die große Schwierigkeit war, wie sie ihren Kindern, die zur Volksschule gingen, das plötzliche Auftauchen Ernas erklären könnten. Sie erzählten den Kindern, dass Erna eine entfernte Verwandte sei, die plötzlich erkrankt und ans Haus gebunden war. Sie versorgten Erna mit Nahrung und Kleidung und verhielten sich ihr gegenüber wie zu einem Mitglied der Familie.

Eines Tages drohte akute Gefahr. Eine Nachbarin hatte Erna durchs Küchenfenster gesehen und warnte Hermine: "Sie halten irgendwen in ihrer Wohnung versteckt. Das muss eine Jüdin sein. Sie muss schleunigst weg. Die Sache kann nicht gut ausgehen. Denken sie an ihre Kinder."

In ihrer Verzweiflung trug Hermine Kuttelwascher der Nachbarin Schweigegeld an. Sie weigerte sich jedoch, es anzunehmen. Zwei Tage später läutete sie an der Tür der Kuttelwaschers. "Ich habe mir die Sache überlegt", sagte sie unter Tränen. "Verjagen sie den Menschen nicht aus ihrer Wohnung. Ich habe gestern einen Judentransport gesehen. Ich möchte nicht Schuld am Schicksal dieser armen Menschen tragen".

Otto und Hermine Kuttelwascher hielten Erna bis zum Kriegsende in ihrer Wohnung versteckt. Oft durchsuchten Polizisten die Umgebung nach versteckten Juden. Erna konnte überleben und wanderte nach dem Krieg nach Amerika aus.


Die Gerechten Österreichs
Eine Dokumentation der Menschlichkeit
von Mosche Meisels


Umschlaggestaltung von Arje Weiss (einer der Geretteten)
Herausgegeben von der Österreichischen Botschaft in Tel Aviv
1996, S. 46-47.