Nach Auschwitz abgesprungen


Julius Nataly - 1986


Julius Nataly wurde am 21. März 1901 in Wien geboren. Er war Buchdrucker. Sein Großvater, der Wiener Kupferstecher Johann Neidl, übersiedelte nach dem ersten Weltkrieg aus Wien nach Pressburg. Julius Nataly übernahm nach dem Krieg die Druckerei seiner Eltern in Pressburg. Nachdem die Tschechoslowakei von den Deutschen besetzt wurde, half Nataly vielen Juden, die von der Gestapo verfolgt wurden. Seine Druckerei wurde zu einer Verbindungsstelle zwischen Juden, die sich in verschiedenen Verstecken befanden. Sie brachten Nataly ihr letztes Geld und Wertgegenstände zur Aufbewahrung. Nataly versteckte Juden in seiner Druckerei und versorgte sie mit Lebensmitteln, wobei ihm seine Frau Margarete behilflich war.

Nataly war immer zu jeder Hilfe und zu jedem Opfer bereit. Als er hörte, dass Rabbiner Weissmantel aus Neutra, der aus einem Zug nach Auschwitz abgesprungen war und dabei verletzt wurde, sich in Gefahr befand, fuhr er zur Absprungstelle und brachte ihn, als slowakischer Weinbauer verkleidet, in einem 18 Kilometer langen Nachtmarsch über die deutschen Militärsperren nach Pressburg und versteckte ihn im Bunker seines Freundes, dem Sohn des Papierfabrikanten Gelles. Im Laufe der Zeit sammelten sich in diesem Bunker weitere 15 Juden, die von der Gestapo gesucht wurden.

Nach Ausbruch des slowakischen Nationalaufstandes im August 1944 drohte allen Juden in Pressburg die sofortige Deportation nach Auschwitz. Nataly nahm mehrere in seiner Druckerei auf. In dieser wurden gefälschte Dokumente während der Nacht, fremde Pässe, Identitätsausweise, Taufscheine usw. gedruckt, um ihren Trägern zu ermöglichen, nicht von der Gestapo verhaftet zu werden oder ins Ausland auszuwandern. Nataly versorgte die bei ihm Versteckten die ganze Zeit mit Lebensmitteln.

Einer der Geretteten, der Tischler B.B. , wurde von der Gestapo gesucht. Nataly hat ihn in einem Kaffeehaus am Vorabend des Weihnachtsfests 1944 entdeckt. Nachdem er die Leidensgeschichte des Tischlers hörte, brachte Nataly ihn sofort in seine Druckerei in der Probstgasse. B.B. fand dort seinen Cousin Hauser. Nataly ließ die beiden über die Feiertage bei sich und bot ihnen Geld für ihren weiteren Fluchtweg an.

Im Jahr 1945 wurde seine Druckerei von den neuen Behörden wegen deutscher Volkszugehörigkeit enteignet. Die Behörden internierten Nataly, er wurde jedoch von Leuten befreit, denen er während der deutschen Besetzung geholfen hatte.

Nataly wollte nach dem Krieg in seine Heimat Österreich zurückkehren. Die Behörden erteilten ihm jedoch keinen Pass. Er mußte sechs Jahre lang unter schweren Bedingungen als einfacher Drukkereiarbeiter arbeiten. Erst 1950 gelang es ihm mit gefälschten Papieren seiner Freunde mit seiner Frau und Tochter nach Israel auszuwandern. Hier wurde seine zweite Tochter geboren. Wegen seiner beiden Kinder beschloß er 1955 nach Wien zurückzukehren. Hier wurde er zwecks Klärung seiner Identität von den Behörden angeklagt. Aber bald erfuhren sie seine tragische Geschichte und das Verfahren wurde gegen ihn eingestellt.

Die Gerechten Österreichs
Eine Dokumentation der Menschlichkeit
von Mosche Meisels

Umschlaggestaltung von Arje Weiss (einer der Geretteten)
Herausgegeben von der Österreichischen Botschaft in Tel Aviv
1996, S. 61.