Ausweg - Jüdische Zeitschrift für Aufklärung und Abwehr
14. Jg / Nummer 2 - Juni 1992
 

 

Ein österreichischer Historiker, der gegen den Strom schwimmt:
Dr. Andreas Maislinger

Seit 1980 finden im Gedenkinstitut Yad Vashem Kurse für Meinungsbildner über den Holocaust in Englisch, Französisch und Spanisch, seit zwei Jahren auch in Russisch statt, die von der Unterrichtsabteilung Yad Vashems unter der Leitung von Dr. Yaacov Lozovich und Erziehungspersönlichkeiten organisiert werden. Vom 26. April bis 5. Mai findet dieses Jahr erstmalig ein Kurs in deutscher Sprache für dreißig Lehrer. Geistliche und Journalisten aus Deutschland und Österreich statt. Initiator dieses Kurses ist der österreichische Historiker Dr. Andreas Maislinger, der vor zwei Jahren an einem Yad Vashem Kurs in Englisch teilnahm.

Dr. Maislinger, der an mehreren Universitäten Politikwissenschaft und Geschichte studierte, promovierte 1980 mit einer Dissertation über die österreichische Verteidigungspolitik bei Prof. Anton Pelinka in Salzburg, dem er 1985 nach Innsbruck an das Institut für Politikwissenschaft folgte. Die Möglichkeit des 1975 in Österreich eingeführten Zivildienstes anstatt des Militärdienstes nutzend, gehörte Maislinger zu den wenigen Österreichern, die im Rahmen der westdeutschen "Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste" mehrere Monate im KZ Auschwitz arbeiteten. Schon 1977 forderte er, dass sich Österreich zur Verantwortung für die Mitschuld von Österreichern am Holocaust bekenne, wurde jedoch von den Politikern, einschließlich dem österreichischen Bundespräsidenten abgewiesen, "da Österreich nicht zu sühnen habe."

In einem eineinhalb Jahrzehnte währenden Kampf erreichte Dr. Maislinger, dass in der letzten Sitzung des österreichischen Nationalrats vor Weihnachten 1991 beschlossen wurde, wehrpflichtigen Österreichern bis zum 28. Lebensjahr einen zwölf Monate währenden Gedenkdienst an ausländischen Holocaust-Gedenkstätten: der Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam, dem Museum Auschwitz-Birkenau und der Gedenkstätte Yad Vashem zu ermöglichen, als Teilnahme an der Lösung "internationaler Probleme sozialer und humanitärer Art". Dr. Maislinger wird im Juni ein Vorbereitungsseminar leiten. Da aber Österreich keine Mittel für die Finanzierung des Auslandsdienstes zur Verfügung stellt, hat Dr. Maislinger einen Trägerverein gegründet.

In der Nähe von Hitlers Geburtsort Braunau am Inn aufgewachsen, plant Dr. Maislinger die Auseinandersetzung mit dem "unerwünschten Erbe" in Hitlers Geburtshaus selbst. Vom 25. bis 27. September 1992 werden die ersten "Braunauer Zeitgeschichtetage" abgehalten werden unter Teilnahme von Vertretern und Historikern aus den Orten, wo Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Gurs in Frankreich waren, aus Kielee in Polen, wo 1946 ein Pogrom wegen Ritualmordbeschuldigung wütete, und aus Stalins Geburtsort Gori in Georgien. In Erkenntnis, dass sich die Vergangenheit nicht "bewältigen", sondern nur aufarbeiten lasst, sollen die Menschen aus Braunau und der Umgebung an der Tagung beteiligt werden.

Im nächsten Jahr werden in Braunau ukrainische und polnische Fremdarbeiterinnen mit österreichischen Bauern zusammenkommen, bei denen während sie des Krieges Zwangsarbeit leisteten. Andere geplante Konferenzthemen sind die Wehrdienstverweigerer, der "böhmische Gefreite", Begegnungen von Kindern und Enkeln von NS-Verbrechern, aber auch mit Deutschen, die nach dem Kriege zu Tausenden aus Oberösterreich vertrieben wurden. Um der Verdächtigung vorzubeugen, dem Städtchen Braunau durch die Geschichtstagungen einen Kultanstrich zu verleihen, holte Dr. Maislinger gewissenhaft noch vor der Publizierung seiner Initiative, Gutachten israelischer Historiker ein.

Dr. Herbert Rosenkranz