Ein
österreichischer Historiker, der gegen den Strom schwimmt:
Dr.
Andreas Maislinger
Seit 1980 finden im Gedenkinstitut Yad Vashem Kurse für
Meinungsbildner über den Holocaust in Englisch, Französisch und Spanisch,
seit zwei Jahren auch in Russisch statt, die von der Unterrichtsabteilung
Yad Vashems unter der Leitung von Dr. Yaacov Lozovich und Erziehungspersönlichkeiten
organisiert werden. Vom 26. April bis 5. Mai findet dieses Jahr erstmalig
ein Kurs in deutscher Sprache für dreißig Lehrer. Geistliche und Journalisten
aus Deutschland und Österreich statt. Initiator dieses Kurses ist der
österreichische Historiker Dr. Andreas Maislinger, der vor zwei Jahren
an einem Yad Vashem Kurs in Englisch teilnahm.
Dr. Maislinger, der an mehreren Universitäten
Politikwissenschaft und Geschichte studierte, promovierte 1980 mit einer
Dissertation über die österreichische Verteidigungspolitik bei Prof.
Anton Pelinka in Salzburg, dem er 1985 nach Innsbruck an das Institut
für Politikwissenschaft folgte. Die Möglichkeit des 1975 in Österreich
eingeführten Zivildienstes anstatt des Militärdienstes nutzend, gehörte
Maislinger zu den wenigen Österreichern, die im Rahmen der westdeutschen
"Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste" mehrere Monate im KZ Auschwitz
arbeiteten. Schon 1977 forderte er, dass sich Österreich zur Verantwortung
für die Mitschuld von Österreichern am Holocaust bekenne, wurde jedoch
von den Politikern, einschließlich dem österreichischen Bundespräsidenten
abgewiesen, "da Österreich nicht zu sühnen habe."
In einem eineinhalb Jahrzehnte währenden
Kampf erreichte Dr. Maislinger, dass in der letzten Sitzung des österreichischen
Nationalrats vor Weihnachten 1991 beschlossen wurde, wehrpflichtigen
Österreichern bis zum 28. Lebensjahr einen zwölf Monate währenden Gedenkdienst
an ausländischen Holocaust-Gedenkstätten: der Anne-Frank-Stiftung in
Amsterdam, dem Museum Auschwitz-Birkenau und der Gedenkstätte Yad Vashem
zu ermöglichen, als Teilnahme an der Lösung "internationaler Probleme
sozialer und humanitärer Art". Dr. Maislinger wird im Juni ein Vorbereitungsseminar
leiten. Da aber Österreich keine Mittel für die Finanzierung des Auslandsdienstes
zur Verfügung stellt, hat Dr. Maislinger einen Trägerverein gegründet.
In der Nähe von Hitlers Geburtsort
Braunau am Inn aufgewachsen, plant Dr. Maislinger die Auseinandersetzung
mit dem "unerwünschten Erbe" in Hitlers Geburtshaus selbst. Vom 25.
bis 27. September 1992 werden die ersten "Braunauer Zeitgeschichtetage"
abgehalten werden unter Teilnahme von Vertretern und Historikern aus
den Orten, wo Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Gurs in Frankreich waren,
aus Kielee in Polen, wo 1946 ein Pogrom wegen Ritualmordbeschuldigung
wütete, und aus Stalins Geburtsort Gori in Georgien. In Erkenntnis,
dass sich die Vergangenheit nicht "bewältigen", sondern nur aufarbeiten
lasst, sollen die Menschen aus Braunau und der Umgebung an der Tagung
beteiligt werden.
Im nächsten Jahr werden in Braunau
ukrainische und polnische Fremdarbeiterinnen mit österreichischen Bauern
zusammenkommen, bei denen während sie des Krieges Zwangsarbeit leisteten.
Andere geplante Konferenzthemen sind die Wehrdienstverweigerer, der
"böhmische Gefreite", Begegnungen von Kindern und Enkeln von NS-Verbrechern,
aber auch mit Deutschen, die nach dem Kriege zu Tausenden aus Oberösterreich
vertrieben wurden. Um der Verdächtigung vorzubeugen, dem Städtchen Braunau
durch die Geschichtstagungen einen Kultanstrich zu verleihen, holte
Dr. Maislinger gewissenhaft noch vor der Publizierung seiner Initiative,
Gutachten israelischer Historiker ein.
Dr. Herbert Rosenkranz
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